linguistik-online - FG
Poljakova, Svetlana
Fokusdomäne von Gradpartikeln im Deutschen und Russischen
(E?)(L?) https://bop.unibe.ch/linguistik-online/issue/view/223(E?)(L?) https://bop.unibe.ch/linguistik-online/article/view/1011
0 Einführung
Gradpartikeln, um deren syntaktische Eigenschaften es hier geht, werden als eine lexikalisch eigenständige Gruppe von Fokuspartikeln behandelt. Es sind die Partikeln der Gruppen "sogar"/"dazhe", die hier 'Gradpartikeln' genannt werden (siehe unter 1.1). Sie lassen sich im Rahmen eines skalaren Modells paradigmatisch anordnen. Die Kernlexeme der Gradpartikelgruppen im Deutschen ("sogar") und russischen ("dazhe") treten in allen ihren Verwendungen als skalare Fokuspartikeln auf. Im Unterschied zu anderen ihnen semantisch nahestehenden Fokuspartikeln (z.B. restriktiven wie "nur"/"tol'ko", additiven wie "auch"/"tozhe") sind Gradpartikeln (GP'n) nicht als Hauptakzentträger geeignet und können nicht im unmittelbaren Skopus der Negation "nicht"/"ne" vorkommen (von Sonderfällen im Dt. abgesehen, in denen der Negation primär eine andere als negierende Funktion zukommt: Ist das nicht sogar amüsant? Zehn, wenn nicht sogar fünfzehn.), die Russ. Negationspartikel "ni ... ni" bildet hierfür eine Ausnahme ("ni dva, ni dazhe tri turnira"/"weder zwei, noch gar drei" Turniere).
Die Funktion und die Syntax der Gradpartikeln (GP'n) hängen eng mit dem Phänomen 'Fokus' zusammen. Fokus steht für das, was der Sprecher in der Aussage besonders betonen will, also dem Material, welches der Sprecher hervorhebt. Diese Hervorhebung erfolgt in Sprachen wie Deutsch und Russisch prosodisch und äußert sich meistens auch durch Wortfolgeanpassungen.
Die Bezugskonstituente einer Gradpartikel läßt sich stets als Fokusdomäne des Hauptakzents im Satz auffassen. Die Bestimmung der Grenzen der Fokusdomäne stellt ein zentrales Problem dar. Die gängigen Syntaxtheorien zu Fokus orientieren sich an der Tatsache, daß Fokus pragmatisch zugewiesen wird. In der Syntax wird entweder versucht, zu bestimmen, welcher Knoten - von oben nach unten gesehen ('top down') - das Merkmal Fokus bekommt (vgl. Rosengren 1993; Junghanns/Zybatow 1995) oder mit Hilfe von Fokusprojektionsregeln (Selkirk 1995 u.a.) vorauszusagen, wie hoch die Projektion geht, also im Verfahren von unten nach oben ('bottom up'). Zwar haben die top-down-Theorien mehr Anspruch darauf, die Grenzen der Fokusdomäne fixieren zu können, jedoch bleibt diese Angelegenheit dem kontextuellen Zusammenhang und der Frage-Antwort-Relevanz überlassen.
Die Analyse von Gradpartikelsätzen veranlaßt zur Frage, ob und inwiefern die Position einer Gradpartikel den Umfang einer Fokusdomäne einschränken oder deutlicher machen kann. Vorhandene Forschungsergebnisse bestätigen die seit langem bekannte Annahme, daß eine GP möglichst nahe zur ihrem eigentlichen Bezugselement platziert werden soll. Das Deutsche und das Russische differieren recht stark in Bezug auf zulässige Positionen für Partikeln bezüglich des Fokusexponenten, d.h. des Trägers des Hauptakzents. Hierbei haben bestimmte GP'n eigene Regeln, so platziert z.B. das russ. "i" als negative GP stets links des Fokusträgers, also des eigentlichen Fokusexponenten, während "dazhe" sehr flexibel sein kann. Die negative Gradpartikel "nicht einmal" kann als Adjunkt einer Quantifikatorphrase oder einer Adjektivphrase innerhalb einer Präpositionalphrase vorkommen; im Russischen ist eine entsprechende Option für "i" bzw. "ni" ausgeschlossen.
Der syntaktische Status der Phrase (oder des Elements), welche(s) am ehesten als Fokus in Frage kommt, ist entscheidend, um festzustellen, um welche Fokusdomäne es sich handelt. Hierbei sind Unterscheidungen zwischen Kopf, Argument und Adjunkt grundlegend (vgl. Selkirk, 1995). Die relative Transparenz dieser Ordnung trifft vor allem für das Deutsche zu. Das Russische - vor allem in seinen umgangssprachlichen Varianten - offenbart eine stark prosodisch bedingte Ordnung dafür, welche Positionen für Gradpartikeln zugänglich sind.
Im Punkt 1 dieses Artikels stelle ich den Hintergrund zu GP'n dar. Im Punkt 2 werden die einschlägigen Theorien zur Informationsstruktur vorgestellt und im Punkt 3 erfolgt die Analyse der Gradpartikelpositionen vom Standpunkt ihres Bezugs zur Fokusdomäne.
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Erstellt: 2014-12