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Schicksal von Homonymen
(E?)(L?) http://www.christianlehmann.eu/ling/wandel/index.html(E?)(L?) https://www.christianlehmann.eu/ling/wandel/lex_homonymie.php
Veranstaltungsmaterial
Christian Lehmann
Philosophische Fakultät
Universität Erfurt
5.4. Schicksal von "Homonymen"
Während lexikalische Relationen wie "Hyponymie", "Antonymie" usw. und sogar "Polysemie" strukturbildend wirken, sind "Synonymie" und "Homonymie" Unfälle des Sprachsystems. Man sieht das z.B. daran, daß man in bestimmten lexikalischen Feldern für alle Mitglieder hierarchiebildende Hyponymierelationen oder sogar grammatisch relevante Antonymierelationen findet; aber man findet kein Feld, dessen Mitglieder in rekurrenter oder regelhafter Weise durch "Synonymie" oder "Homonymie" verbunden wären.
1. Entstehung von "Homonymen"
Da homonyme Zeichen verschiedenes Significatum, aber gleiches Significans haben, können sie logischerweise auf zwei Weisen entstehen:Phonologische Konvergenz liegt in folgenden Beispielen vor:
- durch phonologische Konvergenz: durch Lautwandel fallen die Significantia zweier ursprünglich verschieden lautender Zeichen zusammen;
- durch semantische Divergenz: durch semantischen Wandel werden die Sinne eines polysemen Zeichens zu unabhängigen Significata.
Homonymie durch phonologische Konvergenz
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Die folgende Tabelle zeigt Tilgungen, die in dem mehrfach homonymen französischen Einsilbler [v??] konvergiert sind.
Reduktion des Wortkörpers
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Semantische Divergenz liegt in folgenden Beispielen vor:
Homonymie durch semantische Divergenz
...
"Homonyme" können auch als solche entlehnt werden. Die vulgärlateinischen Wörter "comite" = "Graf" und "computat" = "zählt" waren durch phonologische Konvergenz im Französischen "comte" bzw. "compte", beide /kote/ geworden. Im Englischen, das die Homonyme aus dem Französischen entlehnt hat, sind sie nicht nur "homophon" (/kaont/), sondern auch "homograph" ("count").
2. Verlust von "Homonymen"
Gelegentlich ist der in einem späteren Sprachstadium lautgesetzlich zu erwartende Fortsetzer eines älteren Worts dort tatsächlich nicht in Gebrauch, und statt dessen findet sich da ein Ausdruck ganz anderer Herkunft, der vordem ganz oder teilweise synonym war. Dies fällt in die oben schon behandelte Kategorie des Verlusts lexikalischer Einheiten, für die man verschiedentlich Motivationen gesucht hat. Ein mögliches Motiv für Diskontinuität im Gebrauch eines Wortes ist, daß es "homonym" mit einem anderen war bzw. zu werden drohte. In der folgenden Beispielliste sind diejenigen Ausdrücke unterstrichen, die an die Stelle des kontinuierlichen Fortsetzers treten.
Homonymievermeidung
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Zur Motivation von "Heteromorphie" sowohl in der Syntax als auch im Lexikon wird häufig Homonymievermeidung angeführt. "Homonymie" ist selbstverständlich nur dann ein Problem, wenn die "Homonyme" zur selben syntaktischen Kategorie und schlimmstenfalls sogar noch zum selben Wortfeld gehören, so daß die Opposition zwischen den beiden Zeichen eine gewisse funktionelle Belastung hat. Das ist bei den gegebenen Beispielen gewährleistet.
Allerdings würde Homonymievermeidung ein gesteigertes Maß an Planung bei der Redeerzeugung voraussetzen. Denn der Sprecher wählt seine Zeichen nach semantischen (pragmatischen, stilistischen usw.) Gesichtspunkten; ihr Ausdruck ergibt sich dann automatisch und wird normalerweise nicht seinerseits noch kontrolliert. "Homonyme" aber könnte man nur vermeiden, wenn man auch die so zur Äußerung anstehenden Ausdrücke noch einmal aus dem Blickwinkel des Hörers auf mögliche Ambiguität überprüfte. So etwas kommt unzweifelhaft vor. Ob und ggf. wie es aber in einer Sprachgemeinschaft regelmäßig genug vorkommen kann, um ein Wort vollkommen zu ächten, bleibt zu klären.