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Geflügelte Worte (W3)
Ein "geflügeltes Wort" ist ein Zitat (aus literarischen Werken oder ein Ausspruch einer historischen Person), das Eingang in die Altagssprache gefunden hat, das also oft zum Besten gegeben wird. Die Bezeichnung dt. "Geflügeltes Wort" ist eine Lehnübersetzung des bei Homer (-8. Jh.) in der "Ilias" und der "Odyssee" zu findenden griech. "épea pteróenta", mit griech. "épos" = dt. "Wort", "Rede", "Erzählung" und grich. "pterón" = dt. "Flügel".
Friedrich Gottlieb Klopstock (1724-1803) verwendete den Ausdruck in seinem Epos "Der Messias". Die Bezeichnung für "Worte, die vom Mund des Redners zum Ohr des Angesprochenen fliegen", entlehnte erneut Johann Heinrich Voß in seiner Homerübersetzung (1781 und 1793) als "Geflügelte Worte". August Georg Büchmanns (1822-1884) machte den Ausdruck gänzlich zum "Geflügelten Wort" indem er ihn in seinen "Geflügelte Worte: Citatenschatz des Deutschen Volkes" von 1864 aufnahm und ihm die Bedeutung "oft gebrauchtes Zitat" gab.
(E?)(L?) http://www.altphilologenverband.de/forumclassicum/pdf/MDAV1996-3.pdf
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„Ab ovo“ bis „Veni vidi vici“*
Antike ist in den neuen Bundesländern seit 1989/90, wie man etwa bei der Lektüre von Zeitungen feststellen kann, wieder in, so wie Christliches und Kirchliches wieder in sind, auf jeden Fall verbal, vielleicht also mehr an der Oberfläche - m. E. ist beides weithin eine Mode -, aber immerhin.
Die Redakteure besinnen sich auf ihre in größerem oder meist kleinerem Umfang vorhandenen Lateinkenntnisse („der Corpus“, „nolens volens“ auf einen Plural bezogen) und werfen mit lateinischen Brocken um sich: Sie sagen nicht mehr „von Anfang an“, sondern „ab ovo“ (bekanntlich lobt Horaz Homer, daß er den Trojanischen Krieg nicht „vom Ei der Leda an“ besingt: Zeus, in Gestalt eines Schwans, hat eine Affäre mit Leda; Ergebnis dieses Tête-à-Têtes sind zwei Eier, aus denen die Dioskuren und die „Schöne Helena“ hervorgehen, die den Anlaß zum Trojanischen Krieg gibt).
Die Redakteure sagen nicht mehr „ausführlich“, sondern „in extenso“, nicht mehr „Verfahrensweise“, sondern „modus procedendi“ oder noch lieber, „das Prozedere“, mit "z" und mit großem "P" (das ist auch bei Wissenschaftlern außerordentlich beliebt), und sie sagen nicht mehr „Der Wolf ist dem Menschen ein Wolf“ (ein Gedanke, der in der hinter uns liegenden Ära zu der Prägung „Wolfsgesetz des Kapitalismus“ führte), sondern „Homo homini lupus“.
Dieses Sprachgut hat es immer schon gegeben, aber zumindest in den DDR-Medien war es nicht sehr verbreitet. Um so mehr jetzt auch im Ostteil Deutschlands.
Wir haben es mit Redeschmuck zu tun, mit lateinischen Zitaten aus der Antike oder aus späteren Zeiten bzw. mit Geflügelten Worten. "Geflügelte Worte" nannte 1864 Georg Büchmann sein Lexikon von Zitaten aus der gesamten Weltliteratur. Er griff die Homerische Prägung "épea pteróenta" auf, gesagt von Wörtern, die, erst einmal ausgesprochen, wie gefiederte Pfeile dahinfliegen.
Büchmanns Name dient inzwischen metonymisch zur Bezeichnung seines immer wieder aufgelegten Buches: „der Büchmann“, so wie „der Duden“, nach dem bekannten Orthographen "Konrad Duden". Die DDR schuf sich übrigens aus Valuta- und ideologischen Rücksichten ihren eigenen, nicht schlechten Büchmann, der allerdings aus urheberrechtlichen Gründen nicht „Büchmann“ heißen durfte, sondern nur, mit einem Sachtitel, "Geflügelte Worte" (Leipzig 1981 u. ö.).
Wenn bei Spruchgut, das Erfahrungen oder daraus abgeleitete Mahnungen von gewisser Allgemeingültigkeit in sprachlich, rhythmisch, gegebenenfalls metrisch einprägsamer Form präsentiert (oft auch in bildlicher Form), der Verfasser nicht / nicht mehr bekannt ist, so bezeichnen wir es bei in sich geschlossenen Aussagen in Form von (z. T. elliptischen) Sätzen als "Sprichwort" („Homo homini lupus“), bei Syntagmen je nachdem als "sprichwörtliche Redensart" („ab ovo“), "sprichwörtlichen Vergleich" („melle dulcior“) usw.
Ist dagegen der Verfasser bekannt, sprechen wir von einem "Geflügelten Wort". Die Grenze ist nicht immer leicht zu ziehen. Einerseits greifen Dichter / Schriftsteller auf bereits in einer Sprachgemeinschaft umlaufende Sprichwörter zurück, deren Urheber nur eben nicht mehr bekannt sind (ein Engländer hat das Sprichwort deshalb definiert als „The wit of one, the wisdom of many“), andererseits werden von Dichtern geprägte Sentenzen bzw. Wendungen aufgrund der genannten Charakteristika zu Sprichwörtern, die jeder benutzt, weithin ohne sich dessen bewußt zu sein, daß sie etwa aus Schillers „Wilhelm Tell“ stammen wie der Blankvers „Die Axt im Haus erspart den Zimmermann“, ein Vers, der seinerseits auf ein wesentlich älteres Sprichwort zurückgehen mag. (Für das Verhältnis des Blankverses zur nichtmetrischen Alltagsrede gilt, was Aristoteles für das "?aµâe¦ï?" festgestellt hat.)
Für das Sprichwörtlichwerden spielen übrigens außer der sprachlichen und sonstigen Formung, die bei Schiller in hohem Maße gegeben ist, noch andere Faktoren eine Rolle, so, gerade im Fall Schiller, seine Bekanntheit als Schul- und als Bühnenautor! - Wenn die Abgrenzung von "Sprichwort" und "Geflügeltem Wort" nun schon bei einer heute von etwa 100 Millionen Menschen täglich benutzten Sprache so kompliziert ist, wie kompliziert ist sie erst bei einem zwar noch als Kirchensprache u. ä. lebenden, aber seit anderthalb Jahrtausenden nicht mehr von einer ganzen Sprachgemeinschaft verwendeten Idiom: In der Regel kennen wir antik-lateinisches Spruchgut ja überhaupt nur aus römischen Autoren; da ist es schwierig, säuberlich zwischen "Sprichwort" und "Geflügeltem Wort" zu scheiden. Eine annähernd einheitliche und damit aussagekräftige Terminologie für "Sprichwort", "Zitat" usw. gab es übrigens weder im Lateinischen noch im Altgriechischen. Die Klassische Philologie ist da schlechter dran als die überwiegend auf Neuzeitliches gerichtete, außerordentlich anregende und ertragreiche internationale Sprichwortforschung, wie sie vor allem durch Wolfgang Mieder (Burlington, Verm.) unter anderem mit der von ihm herausgegebenen sehr nützlichen Zeitschrift „Proverbium“ repräsentiert wird (zuletzt Bd. 12/1995).
(E?)(L?) http://www.uni-due.de/buenting/
(E?)(L?) http://www.uni-due.de/buenting/05GlossarPhraseologismen.pdf
Geflügelte Worte: So nennt man Sprichwörter und Redensarten, bei denen der Autor bekannt ist; der Begriff geht zurück auf Homers öfter gebrauchten Ausdruck ... und sprach die geflügelten Worte"; Skript S. n
(E1)(L1) http://books.google.com/ngrams/graph?corpus=8&content=Geflügelte Worte
Abfrage im Google-Corpus mit 15Mio. eingescannter Bücher von 1500 bis heute.
Dt. "Geflügelte Worte" taucht in der Literatur um das Jahr 1800 auf.
(E?)(L?) https://corpora.uni-leipzig.de/
Erstellt: 2018-06