Blofer
Blofi
Chemp
Gieu
Iu
jell
Modi
Schlööf
schlööfe
Schwees
Schwoscht
(W3)
(E?)(L?) https://www.idiotikon.ch/wortgeschichten/mattenberndeutsch
Gieu, iu, Schwoscht und Konsorten: das Mattenberndeutsche
Christoph Landolt Mittwoch, 19. März 2014
"Gieu", "iu", "Chemp", "Schlööf" und "schlööfe", "Schwees" oder "Schwoscht", "Modi", "Blofer" oder "Blofi" – Berndeutsch zeichnet sich nicht nur durch eine bemerkenswerte sprachliche Beharrungskraft, sondern auch durch eigentümliche Neuerungen aus. Viele dieser Innovationen gehen teils direkt, teils via Nachahmung auch indirekt vom einstigen Mattenberndeutsch* aus. "Mattenberndeutsch" war die Umgangssprache der stadtbernischen Unterschicht, die zu Füssen der Berner Altstadt direkt an der Aare im Mattequartier wohnte. Wie andere Sondersprachen ging es spielerisch mit Wörtern um und kannte zahlreiche Begriffe aus dem Rotwelschen ("Rotwelsch" ist die Bezeichnung der spätmittelalterlichen und frühneuzeitlichen Geheimsprache gesellschaftlicher Randgruppen und krimineller Subkulturen). Zwei Sätze auf Mattenberndeutsch mögen zur Illustration dienen: Na der Tschaagge gö mir a d' Iru hingere ga pichere ,Nach der Schule gehen wir hinten in der Aare fischen'. I wott i d' Schtibere nupfe ga schyfere für Schinagu ,Ich will in die Stadt eilen und mich nach Arbeit umsehen.' Als lebendige Umgangssprache ist "Mattenberndeutsch" heute verschwunden, doch haben es einige seiner Wörter geschafft, Teil der Berner Alltagssprache zu werden, und seine Lautspielereien wirken bis heute in der bernischen Umgangssprache nach.
Eines der erfolgreichsten mattenberndeutschen Wörter ist
- "Gieu" ,Knabe, Bub'. Im Rotwelschen bedeutete "Giel" ,Mund' und setzt damit mittelhochdeutsch "giel" ,Maul, Rachen, Schlund' fort, das seinerseits von französisch "gueule" ,Maul' stammt. Wie es von der Bedeutung ,Mund' zur Bedeutung ,Bub' gekommen ist, ist allerdings völlig unklar – nur spekulativ ist die Idee, dass manche Burschen gerne ein loses Mundwerk haben...
- "Iu" ,ja' – das "-u" ist wie bei "Gieu" aus "-el" entstanden – findet im gleichbedeutenden jenischen
- "jell" sein Pendant ("Jenisch" ist die Sondersprache der Schweizer Fahrenden) und dürfte eine Erweiterung von "ja" darstellen. Ursprünglich mattenberndeutsch wird auch
- "Chemp" ,Stein' sein, doch tappen wir bezüglich Herleitung des Wortes im Dunkeln. Die Mätteler und ihre Nachahmer waren und sind auch besonders kreativ im Umformen bestehender Wörter.
- "Schlööf" ,Eisbahn' beziehungsweise
- "schlööfe" ,Schlittschuh laufen' zeigt Vokalwechsel von "ii" zu "öö", man vergleiche schweizerdeutsch "Schlyfschue" ,Schlittschuh'. In
- "Schwees" oder
- "Schwoscht" ,Schwester' treten spielerische Änderungen im Vokalismus und teilweise Konsonantismus sowie Reduktion auf die Stammsilbe des Wortes auf.
- "Modi" ,Mädchen' weist Vokalwechsel von "ei" zu "o" sowie Austausch des Suffixes "-tschi" durch "-i" auf. Und bei
- "Blofer" oder
- "Blofi" ,Bleistift' bleibt lediglich die anlautende Konsonantengruppe unverändert. Der Kreativität sind somit kaum Grenzen gesetzt ...
* Entsprechend der Terminologie des Matteänglisch-Club Bärn unterscheiden wir hier zwischen «Mattenberndeutsch» (dem Soziolekt der "Matte") und «Mattenenglisch» (der Geheimsprache der "Mätteler"). Letzterem werden wir unsere nächste Wortgeschichte widmen.
Zur Sprache der Mätteler gibt es zwei gut verständliche Publikationen –
- Otto von Greyerz: "E Ligu Lehm", Bern 1967/1999 (Erstveröffentlichung im Schweizerischen Archiv für Volkskunde 29 [1929]), sowie
- Matteänglisch-Club Bärn: "Matteänglisch. Geschichte der Matte. Dialekt und Geheimsprache", Bern 1969/2001.
Erstellt: 2022-03